Arzt hätt´ ich nicht werden dürfen – szenische Lesung der Eichmann-Protokolle

Bernd Surholt und Harald Schandry (hannoversche kammerspiele) bieten ihre Eichmann-Produktion bereits seit 15 Jahren für Schulen, Gedenkstätten und andere Institutionen an. Am Gymnasium am Waldhof traten sie für die Philosophie-, Religions- und Geschichtskurse der Jahrgangsstufen Q1 und Q2 auf.

Bernd Surholt (Schauspieler, Synchronsprecher, Regisseur) als Adolf Eichmann, Harald Schandry (Schauspieler und Regisseur/ Staatstheater Hannover, Leitung Klecks-Theater Hannover / hannoversche kammerspiele) als Avner Less

 

"Enttäuscht" sei er vom Auftreten Eichmanns gewesen, als er ihn zum ersten Mal getroffen habe, sagt Avner Less alias Harald Schandry über Adolf Eichmann. Dieser sei "kein Teufel" und kein "Frankenstein" gewesen, nicht das erwartete personifizierte Böse, wie man es vom Hauptverantwortlichen für die Vertreibung und Deportation von Juden im Reichssicherheitshauptamt erwarten würde. Ganz im Gegenteil: Adolf Eichmann sagt im Verhör über sich selbst, er könne kein Blut sehen, schon von kleinen Schnittwunden werde ihm schlecht und allzu viel Grausamkeit wie den Anblick der gerade in seinem Verantwortungsbereich getöteten Menschen sei ihm immer auf das Gemüt geschlagen, er sei "bedient" gewesen.

Dies ist nur ein perfides Detail der Verteidigungsstrategie von Adolf Eichmann im Verhör und vor dem israelischen Gericht beim Auschwitz-Prozess in Jerusalem. Da sein Aufgabenbereich im bürokratischen und technischen Teil der Vernichtungsmaschinerie lag, verleugnete er seine Verantwortung in Bezug auf die organsierte Tötung jüdischer Menschen unter Berufung auf seine untergeordnete Position in der Befehlshierarchie. Und wer hätte dem Befehl eines Hitler schon widersprechen können! Dass sich seine Unterschriften unter dem Bestellformular für das Giftgas Zyklon B oder unter der Einladung zur Wannsee-Konferenz fanden, stellte für Eichmann keinen Widerspruch dar. Er entzog sich seiner Verantwortung, bis er 1960 vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürt und zum Prozess nach Israel verbracht wurde.

Das von Jochen von Lang herausgegebene Protokoll der beinahe 300 Verhör-Stunden bildet die Grundlage für die 45minütige Lesung, mit der Harald Schandry und Bernd Surholt nahe dem Jahrestag der Auschwitz-Befreiung am 27.1.1945 Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus in die Aula des Gymnasiums am Waldhof brachten. Ein spartanisches Bühnenbild und die Abdunklung des Raumes ließen die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Zeugen der beklemmenden Verhörsituation werden, in die collagenartig zeitgenössische Schlagzeilen eingeflochten sind.

Sowohl die Lesung als auch die anschließende Diskussion kamen ohne moralisierenden Zeigefinger, aber auch ohne Bagatellisierung der Ereignisse aus. Stattdessen sorgten sie durch die authentisch wirkende Darstellung Eichmanns und des verhörenden Beamten Avner Less für eine Nachdenklichkeit und auch für – der komplexen Natur der Sache geschuldete – Irritationen bei den Zuhörenden, die von den beiden Schaupielern ausführlich erörtert wurden und ein breites Feld für die Nachbesprechung eröffneten.

Wir bedanken uns bei beiden Darstellern sehr herzlich für die gelungene Veranstaltung! Unser herzlicher Dank gilt außerdem dem Förderverein des GaW für den finanziellen Zuschuss, der uns die Veranstaltung der Lesung ermöglichte.

 

Sabine Hönicke